Ein Flug ins All – die Reportage

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Wir nehmen Sie mit zu unserem Flug ins All – viel Spaß bei einem besonderen Tripp, nämlich

Einmal Weltall und zurück!

Die Schnitzeljagd der Zukunft: Mit dem Team von Stratoflights.de war einfach hoch hinaus  unterwegs in die Stratosphäre. Unser kleinster Mitarbeiter flog hoch hinaus – und unser Reporter hat den Flug begleitet.

 

Es ist ein strahlender Frühlingstag und keine Wolke steht am blauen Himmel, als Marcel Dierig und Marvin „Marv“ Rissiek drei große Flaschen Ballongas auf einem Rollwagen auf den Vorplatz der Stadthalle in Reutlingen schieben. 120 bar Fülldruck zeigt die Messuhr an der ersten Metallpulle. Neben Werkzeugkästen und Materialkisten liegt in einem Pappkarton ein zusammengewickelter Wetterballon aus hauchdünner, weißlich-transparenter Folie. Letzte Vorbereitungen für den Flug ins All. Der Passagier wartet schon.

Dierig und Rissiek, die sich allen lieber mit Vor- und Spitznamen vorstellen, tragen einheitliche schwarze Trainingsjacken, ein wenig sehen sie damit aus wie eine Spezialisteneinheit auf Mission. Auf ihrem Rücken verheißt ein Schriftzug „Marketing am Rande des Weltalls“, vorn verrät ein Logo den Namen ihres Unternehmens: Stratoflights. Rund 4000 Liter des Gases brauchen die beiden jungen Männer jetzt, um den Ballon so zu füllen, damit er einen Strecke von 35.000 Metern zurücklegen kann – und zwar vertikal nach oben, in die Stratosphäre. Im Gepäck heute: Kameras und ein kleiner Astronaut, der den Rekord als höchstgereister Passagier außerhalb einer Rakete anpeilt.

Das Wetter ist heute perfekt, bescheinigt Marcel mit einem zusammengekniffenen Blick in den Himmel. Es wird tolle Bilder mit dem Astronauten im All geben. Apropos Bilder – die werden natürlich in den Kameras stecken, die die Reise des Schuhs begleiten. Marv legt letzte Hand an die Sonde, einen stabilen Styroporkasten, wenig größer als ein Schuhkarton, in dem heute die GPS-Sender und drei Spezialkameras von GoPro eingebaut sind. Außen steht bereits derAstronaut, aufrecht, mit Fahne und perfekt ausbalanciert. Marv verschließt die Sonde mit Isolierband und beginnt, den signalroten Fallschirm zu befestigen. In der Stratosphäre angekommen, wird der Ballon wegen des sinkenden Umgebungsdrucks von zweieinhalb auf bis zu 15 Meter Durchmesser anwachsen – und platzen. Dann wird sich der Schirm automatisch ausfalten und das Equipment sicher zurück zur Erde segeln – in aller Regel etwa fünfzig bis hundert Kilometer Luftlinie entfernt vom Startpunkt, je nach den Windverhältnissen.

Solche Erfahrungswerte bescheinigen dem Team einen entscheidenden Wissensvorsprung: 2011 haben die Studenten Marcel, Marv und Tobias „Tui“ Lohf ihre Firma mit Sitz im nordrhein-westfälischen Blomberg gegründet. Seitdem haben sie für ihre Kunden weit über hundert Wetterballons hinauf in die zweite Schicht der Erdatmosphäre fliegen lassen. Bei den Flügen entstehen spektakuläre Video- und Fotoaufnahmen – von Erde, Himmel und Weltall. Und von den Gegenständen, die sie für die Auftraggeber am Ballon befestigt dorthin schicken: Für Stern TV ließ Stratoflights 2012 eine Playmobilfigur über der Erde kreisen – das war der Beginn einer nicht mehr abreißenden Auftragswelle. Damit sind die die passenden Partner für ‚einfach hoch hinaus’. Besonders gespannt ist das Team, sich die Flugaufnahmen rückwärts anzusehen. Dass sie sich von der Reichweite der Marketingaktion nicht zuviel verspricht, zeigen die Klickwerte, die Stratoflights-Videos auf Youtube, in sozialen Netzwerken und auf Firmen-Homepages erreichen.

Der Ballonstart ist auf Punkt zwölf Uhr bei der Deutschen Flugsicherung und dem Hausherrn des Platzes in Reutlingen angemeldet. Zwanzig Minuten vor zwölf drehen Marcel und Marv die Gasdüsen auf, damit die etwa 5 Kubikmeter rechtzeitig in den Ballon geblasen werden. Langsam wölbt sich die feine Ballonhaut aus Naturlatex, die die Profis aus Vorsicht nur mit Handschuhen halten. Jetzt, da es mehr zu sehen gibt, wächst die Zahl der Neugierigen, Besucher der benachbarten Gründermesse in der Stadthalle kommen nach draußen, ein Halbkreis bildet sich um die Startzone. Auch ein Pressevertreter, sogar ein Landtagsabgeordneter ist dabei. Und dann geht es sehr schnell: Das Einsatzkommando lässt den Ballon los, das Heliumgemisch tut das seine. Kerzengerade steigt die Kugel mit ihrer Last auf, ungefähr sechs Meter pro Sekunde. Klein und kleiner wird der Ballon am Himmel, nach zehn Minuten ist er mit bloßem Auge nicht mehr zu sehen.

Jetzt beginnt das, was Marcel „eine Schnitzeljagd des 21. Jahrhunderts“ nennt und auch als beliebtes Teamtraining-Angebot an Unternehmen verkauft: Zirka 140 Minuten dauert es, bis der Ballon die Stratosphäre erreicht hat, dort platzt und die Sonde wieder auf der Erde landet. Dann muss das Team nur noch die Nadel im Heuhaufen wiederfinden. Um sich schon vorher auf das Suchgebiet vorzubereiten, gibt Navigator Marv per Smartphone die Startkoordinaten sowie Steig- und Sinkgeschwindigkeit der Fluggeräte in ein Onlinetool ein, das auf Basis der Daten und der aktuellen Wetterlage ein ungefähres Landefenster errechnet. Heute soll die Sonde südwestlich von Reutlingen, am Ostrand des Schwarzwalds niedergehen, ungefähr im Umkreis des 65 Kilometer entfernten Oberndorf am Neckar, zeigt Marv, indem er mit dem Finger über Google Maps streicht. Schon düsen Marvin und Marcel Richtung Schwarzwald, denn zuviel Zeit sollte man nicht verlieren, wenn man die Sonde noch im Hellen finden will. 55 Minuten bis zum berechneten Ziel, zeigt das Navi an.

Von unterwegs überprüft Marvin das GPS-Signal. Dazu ruft er mit seinem Handy die Sonde an: In der Sonde stecken zwei so genannte GPS-Tracker, beide Systeme sind übers Handynetz anwählbar und senden ihr Signal von einer SIM-Karte per SMS. Im Nahbereich am Erdboden sind sie dann bis auf fünf Meter genau wiederzufinden. Per Smartphone und Google Maps kann das Team die Flugkurve also nachvollziehen. Doch es gibt einen blinden Fleck: Über einer Höhe von 10.000 Metern dürfen die GPS-Sender kein Signal mehr übermitteln, denn dort beginnt militärisches Funksperrgebiet. Ob sich der Ballon an den Plan hält, bleibt also ungewiss.

Als Marcel und Marv nach einer Stunde den vermeintlichen Zielort Oberndorf erreichen, ist die Sonde vermutlich bereits im Sinkflug am Fallschirm – aber noch nicht wieder unter die Funksperrgrenze gesunken. Das Team nutzt die Zeit für einen kurzen Mittagsimbiss. Gerade sprechen Marcel und Marv darüber, wie unproblematisch alles bisher abgelaufen ist, da kommt plötzlich die Nachricht von Tobias-„Tui“ aus Dortmund, der dort das GPS-Signal für das Team am leistungsstarken Rechner verfolgt: „Signal ist wieder da. Sieht aus, als müsstet ihr noch mal 70 Kilometer weiter. Der Fallschirm segelt gerade Richtung französische Grenze!“

Ein kleiner Schock ist es schon. So sehr – um das Doppelte – hat sich das Prognose-Tool bisher noch nie verrechnet. Andererseits wehen in der Stratosphäre manchmal Winde von bis zu 200 Stundenkilometern, da kann der Ballon schon einmal eine unvorhergesehene Flugbahn nehmen, räsoniert Marcel. Doch alle Verwunderung hilft nichts: Das Team steigt ins Auto, nimmt die neue Spur auf und hofft, dass die Sonde wenigstens nicht mitten im Schwarzwald landet – womöglich im Wipfel einer hohen Fichte! Schließlich nimmt ein ungesteuerter Fallschirm nicht auf topografische Unwegsamkeiten Rücksicht. Zwar haben sie die Styroporbox schon aus den erstaunlichsten Lagen geborgen und auch alles für eine „Baumrettung“ dabei, darunter ein Katapult, Kletterausrüstung und eine 8-Meter-Teleskopstange. Doch hier im Schwarzwald zeigt den beiden ein Blick von den Hochstraßen nach rechts und links, dass viele Orte nur schwer zu erreichen sind. Zweimal mussten sie bei anderen Landungen schon einen Baumkletterer engagieren, einmal durfte sogar die Schicksalsfichte gefällt werden, in der sich die Sonde verfangen hatte. Doch auch schon richtige Bergrettungen mit Abseilaktion und selbst eine Bergung aus einem Jahrmarktfahrgeschäft haben die „Fallschirm-Jäger“ schon erlebt. Da erstaunt es nicht, dass Marcel den Abenteuercharakter ihrer Projekte betont und von der immer neuen Spannung berichtet, die die Suchaktion aufkommen lässt.

Dann hat die Schnitzeljagd ein plötzliches Ende. Die Sonde landet, Marvin überträgt den letzten GPS-Punkt  auf ein Satellitenbild von der Gegend. Unwillkürlich fühlt man sich an eine Schatzkarte erinnert. Es ist deutlich zu sehen, dass der Landepunkt – wenn er stimmt – in einem Feld direkt neben einer Landstraße liegt. Glück gehabt. Dieser Schatz dürfte leicht zu bergen sein. Am neuen Zielort parkt Marcel den Kleinwagen in einer Haltebucht am Straßenrand. Die Sonde und der leuchtend rote Schirm liegen tatsächlich gut sichtbar auf dem braunen Acker, nur fünfzig Meter von der vielbefahrenen Straße. Der weitgereiste Astronaut ist wieder sicher gelandet: unser Legomännchen war tatsächlich in unendliche Weiten unterwegs, einmal Weltall und zurück!

Kaum zurück im Auto öffnet Marv mit einem Messer die gut verklebte Styroporkiste und nimmt die Kameras heraus – wie immer alle intakt. Ob die Videos geglückt sind, will das Team aber noch möglichst an Ort und Stelle wissen: Es ist eben doch jeder Auftrag immer wieder ein kleines Abenteuer. Schon nach wenigen Kilometern zückt Marv auf dem Beifahrersitz sein Notebook und überträgt die Bilder.

Aufnahmen wie aus dem Weltraumbilderbuch sind es geworden. Im Schnelldurchlauf scrollt sich das Stratoflights-Team durch den Flugverlauf, bis der Ballon die blaueren Atmosphärenschichten verlässt und mehr und mehr in den Weltraum eintaucht. Der beginnt genaugenommen zwar erst bei achtzig bis hundert Kilometern Höhe, aber wer will heute kleinlich sein? Die Bilder zeigen, dass zumindest „am Rande des Weltalls“ keine Übertreibung ist. Umspielt vom Sonnenlicht, dreht sich der einfach hoch hinaus-Astronaut aus Reutlingen zwischen dem schwarzen All und der blau schimmernden, leicht gekrümmten Erde. Marv und Marcel sind sehr zufrieden, trotz der ausgedehnten Verfolgungsjagd. Die gehört eben dazu, wenn die ganze Welt zur Schatzkarte wird. (Lennart Will und Martin Gehring / einfach-hoch-hinaus.com)